|
N1
Aktuelle Entscheidungen des EuGH, BAG und LAG
Berlin-Brandenburg:
1.
Rote-Kreuz-Schwestern sind Arbeitnehmer und als Leiharbeitnehmer
einzuordnen, wenn diese von einem Verein, der keinen
Erwerbszweck verfolgt, zu einem sog. Gestellungsentgelt an
andere Unternehmen überlassen werden.
Dies gilt
auch, wenn die Rote-Kreuz-Schwester bei dem Verein, in dem sie
Mitglied ist, keine Arbeitnehmerin ist, z. B. weil sie keinen
Arbeitsvertrag geschlossen hat und lediglich ein
mitgliedschaftliches Verhältnis in der DRK-Schwesternschaft
besteht. Ob sich DRK-Schwestern in Zukunft arbeitsrechtliche
Grundbedingungen erstreiten wollen, ist fraglich. Die
Entscheidung ist aber für Betriebsräte bedeutsam, die beim
Einsatz von Leiharbeitnehmern im Betrieb ein gewichtiges
Wörtchen mitzureden haben und ihre Zuständigkeit mit
Einschränkung auch auf diese erstrecken können. Der Streit
entzündete sich an der Frage, ob der Betriebsrat eines
Krankenhauses, der dem Einsatz von Vereinsmitgliedern der
Schwesternschaft, also einer DRK-Schwester, widersprach (gemäß §
99 BetrVG), weil deren Einsatz nicht nur vorübergehend sei und
damit gegen § 1 Abs. 1 AÜG verstoße, ein solches Recht zusteht.
Die Überlassung von Pflegepersonal im Rahmen sog.
Gestellungsverträge wurde vom EuGH in diesem Zusammenhang als
wirtschaftliche Tätigkeit erachtet (vgl. EuGH vom 17.11.2016,
C-216/15).
N2
2. Der Betriebsrat hat bei Facebook-Auftritten des Arbeitgebers
ein Mitbestimmungsrecht zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der
Mitarbeiter, wenn Besucher Beiträge mit Bezug auf das Verhalten
oder die Leistung einzelner Beschäftigter posten können.
Ob der Arbeitgeber die Absicht hat, die Postings auszuwerten,
ist nicht erheblich. Entscheidend ist, dass das Verhalten und
die Leistung durch elektronische Kommunikationsmittel überwacht
werden kann, so dass das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1
Nr. 6 BetrVG eröffnet ist (BAG vom 13.12.2016 – 1 ABR 7/15).
N3
3. Verweigert der Arbeitgeber dem Betriebsrat einen
Sachverständigen gemäß § 80 Abs. 3 BetrVG, stimmt also der
Arbeitgeber der Beauftragung nicht ausdrücklich zu, musste der
Betriebsrat zunächst auf Zustimmung klagen und konnte erst dann
den Anwalt als Sachverständigen anfragen, wenn die Sache sich
oft schon erledigt hat.
Das BAG hat nunmehr einen sehr pragmatischen Weg aufgezeigt:
Beim Streit über das Bestehen oder den Umfang von
Mitbestimmungsrechten ist der Betriebsrat nicht auf § 80 Abs. 3
BetrVG verwiesen, sondern kann gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG einen
Rechtsanwalt mit der Prüfung, ob und wenn ja, in welchem Umfang
ein Mitbestimmungsrecht besteht, beauftragen. Durch die
anwaltliche Klärung wird in einer streitigen
betriebsverfassungsrechtlichen Frage die Sache zeiteffektiv und
durchaus kostensparend abgeklärt (vgl. BAG vom 25.06.2014 – 7
ABR 70/12). § 40 Abs. 1 BetrVG ist auch anzuwenden, wenn es um
die Einleitung und Durchführung von Einigungsstellenverfahren
oder arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren geht.
N4
4. Das BAG hat eine Umdeutung einer unwirksamen
Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage für den Fall
angenommen, dass der Arbeitgeber sich jedenfalls gegenüber den
Arbeitnehmern ausdrücklich verpflichten wollte.
Eine Entscheidung, die für Betriebsräte in nicht tarifgebundenen
Unternehmen, die sich häufig in einer Grauzone rechtlich
zulässigen Handelns (vgl. § 77 Abs. 3 BetrVG) bewegen,
klarstellt, wenn etwa Regelungen zur Vergütungsordnung getroffen
und diese auch individuell vereinbart werden, diese selbst bei
Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung, jedenfalls als
Gesamtzulage erhalten bleiben (vgl. BAG vom 23.02.2016 – 3 AZR
960/13). Betriebsräte werden in solchen Fallgestaltungen aber
typischerweise die Form der Regelungsabrede wählen, die eines
individualrechtlichen Umsetzungsakts bedarf. Dieses Konstrukt
ist vom BAG seit langem anerkannt (sog. Burda-Entscheidung des
BAG vom 20.04.1999 – 1 ABR 72/98).
N5
5. Häufig verfallen Urlaubsansprüche nach dem Jahreswechsel
ersatzlos. Das LAG Berlin-Brandenburg hat zur Vermeidung eines
solchen Ergebnisses eine sehr erfreuliche Entscheidung
getroffen, wonach es Sache des Arbeitgebers ist, darauf
hinzuwirken, dass der Arbeitnehmer tatsächlich im laufenden
Kalenderjahr seinen Urlaub nimmt.
In der Folge kann sich der Arbeitgeber nicht einfach auf den
Verfall der Urlaubsansprüche berufen, sondern der Arbeitnehmer
hat einen Schadensersatzanspruch in Form eines
Ersatzurlaubsanspruchs wenn der Urlaub im Verlaufe des
Kalenderjahres nicht genommen wurde (vgl. LAG Berlin-Brandenburg
vom 12.06.2014 – 21 Sa 221/14). Mittlerweile sah sich das BAG
veranlasst, diese Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen, da vermehrt
derartige LAG-Entscheidungen beim BAG eingingen, also mit der
Frage, ob der Arbeitnehmer die zeitliche Festlegung seines
Urlaubs beantragen muss, damit der Urlaub am Ende des
Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergeht oder ob der
Arbeitgeber verpflichtet ist, für den Arbeitnehmer eine
verbindliche Festlegung zu treffen, wenn der Arbeitnehmer selbst
keinen Urlaubsantrag stellt (vgl. Vorlagebeschluss des BAG vom
13.12.2016 – 9 AZR 541/15 (A)). Eine Entscheidung des EuGH liegt
jedoch noch nicht vor.
Kanzlei
für Arbeitsrecht in Schöneberg Klaus Stähle
|