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Rechtsprechung
1. Der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit wird durch Vorlage einer
ärztlichen Ar-beitsunfähigkeitsbescheinigung geführt.
BAG vom 28.06.2023 (5 AZR 335/22)
Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung
klargestellt, dass eine ord-nungsgemäß ausgestellte
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach wie vor das wichtigste
Beweismittel für das Vorliegen einer krankheitsbedingten
Arbeitsunfä-higkeit ist. Aufgrund des hohen Beweiswertes einer
solchen Arbeitsunfähigkeits-bescheinigung genügt es nicht, wenn
sich der Arbeitgeber durch bloßes Bestrei-ten der
Arbeitsunfähigkeit gegen seine Zahlungspflichten wendet. Nur
dann, wenn der Arbeitgeber erhebliche Tatsachen vortragen kann,
die gegen die Ar-beitsunfähigkeit sprechen, kann er den
Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit er-schüttern. Wenn ihm hierzu
nichts einfällt, kann er auch an einer für zwei Wochen
ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf der Basis von
„Symptomen“, wie z. B. Fieber oder Übelkeit, nicht rütteln, auch
wenn die Arbeitsunfähigkeits-richtlinien von Ärzten an sich mehr
verlangen, als die Beschreibung bloßer un-spezifischer Symptome.
2. Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Abrufarbeit –
fehlende Vertrags-festlegung
BAG vom 18.10.2023 (5 AZR 22/23)
Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer Arbeit auf Abruf, legen
aber die Dau-er der wöchentlichen Arbeitszeit nicht fest, gilt
grundsätzlich nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG eine Arbeitszeit von
20 Stunden als vereinbart. Eine Abweichung davon kann im Wege
der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann angenommen wer-den,
wenn die gesetzliche Regelung nicht sachgerecht ist und
objektive Anhalts-punkte dafür vorliegen, die Parteien hätten
bei Vertragsschluss übereinstimmend eine andere Dauer der
wöchentlichen Arbeitszeit gewollt.
Mit der Entscheidung bestätigt das BAG, was ohnehin Inhalt der
gesetzlichen Regelung ist. Keinesfalls führt eine fehlende
Festlegung einer bestimmten Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit
zur Unwirksamkeit der Vereinbarung insgesamt. Wird die Lücke im
Arbeitsvertrag mit einer fehlenden Mindestarbeitszeit durch die
gesetzliche Regelung geschlossen, so sollten wenigstens 20
Stunden pro Woche als vereinbart gelten.
3. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 02.03.2023
(Rs. C-477/21) zu täglicher und wöchentlicher (Mindest-)Ruhezeit
Der EuGH hat für den Fall eines Lokführers, der bei einer
ungarischen Eisenbahngesellschaft beschäftigt ist, klargestellt,
dass die tägliche Ruhezeit das eine ist und zusätzlich hierzu
noch die wöchentliche Ruhezeit zu gewähren ist. Dies gilt auch
dann, wenn die tägliche Ruhezeit der zwingend zu gewährenden
wöchentlichen Ruhezeit unmittelbar voraus geht. In der
Konsequenz muss also die tägliche Ruhezeit beispielsweise auch
vor Urlaub oder etwa vor vereinbartem Freizeitausgleich gewährt
werden. Die wöchentliche Mindestruhezeit von 24 Stunden ist
häufig auch durch Tarifverträge verbessert und lag im Falle des
ungarischen Lokführers bei 42 Stunden.
Der EuGH hat in der o. g. Entscheidung klargestellt, dass die
wöchentliche, im Zusammenhang zu gewährende Mindestruhezeit
nichts mit der täglichen Ruhezeit zu tun hat, sodass diese also
vor dem Antritt beispielsweise der wöchentlichen Mindestruhezeit
noch hinzuzusetzen ist. Die tägliche Ruhezeit von in der Regel
zumindest 11 Stunden dient der Erholung von den Strapazen des
jeweiligen Arbeitstages. Die wöchentliche Mindestruhezeit von
mindestens 24 Stunden (nach europarechtlichen Bestimmungen)
dient der Erholung von den sonstigen Belastungen, welche eine
Arbeitswoche mit sich bringt.
Für die Praxis bedeutet dies, dass aufgrund der wöchentlichen
Mindestruhezeit von 24 Stunden und der täglichen Mindestruhezeit
von 11 Stunden jedem Arbeitnehmer zumindest einmal in der Woche
35 Stunden zusammenhängende Gesamtruhezeit gewährt werden
müssen. Ist die wöchentliche Mindestruhezeit länger, verlängert
sich logischerweise dann auch die Gesamtruhezeit. In der Praxis
bedeutet dies, dass Betriebsräte darauf zu achten haben, dass
der 24-stündigen Sonntagsruhe eine in der Regel 11-stündige
tägliche Ruhezeit vorauszugehen hat. Dies gilt
selbstverständlich auch, wenn am Sonntag gearbeitet wird und
innerhalb von zwei Wochen ein entsprechender Ausgleichstag
gewährt wird. Auch dann müssen die täglichen Ruhezeiten zum
Ausgleichstag noch hinzugerechnet werden.
Praktisch bedeutsam ist die Entscheidung auch wenn Überstunden
abgebaut werden, also Arbeitszeitkonten beispielsweise tageweise
zurückgefahren werden, dass entsprechend auch im Vorfeld die
Ruhezeiten beachtet werden. Das gilt gleichermaßen vor Antritt
des Urlaubs.
4.
Arbeitgeber müssen ein effektives und transparentes
Arbeitszeiterfassungssystem einrichten
Das BAG (13.09.2022 – 1 ABR 22/21) hat dem Mitbestimmungsrecht
des Betriebsrats nach § 87 BetrVG mit dem Ziel, ein
elektronisches Arbeitszeiterfassungssystem mithilfe einer
Einigungsstelle einzuführen, eine klare Absage erteilt. Zwar
hatte der Betriebsrat für die vollstationäre Wohneinrichtung
zuvor eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit abgeschlossen.
Die Arbeitszeiterfassung gehört aber nicht zum
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Denn es besteht gem. § 87
Abs. 1 S. 1 BetrVG eine gesetzliche und nach Auffassung des BAG
abschließende Verpflichtung des Arbeitgebers, der
gezwungenermaßen ein Arbeitszeiterfassungssystem einführen muss.
Das BAG hat dies aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz
abgeleitet. Da der Arbeitgeber keine Wahl hat, hat der
Betriebsrat hier auch nichts mitzubestimmen.
Das BAG dazu:
a) Die – gesetzessprachlich weit gefasste – Verpflichtung des
Arbeitgebers, für eine „geeignete Organisation“ zu sorgen und
die „erforderlichen Mittel“ hierfür bereitzustellen, kann auch
die Einführung und Verwendung eines Systems zur Erfassung der
Arbeitszeiten der Arbeitnehmer umfassen. Die in der Norm
verwendeten Begrifflichkeiten bieten ausreichende Möglichkeiten,
um bei ihrer jeweiligen Anwendung im Einzelfall dem nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs bestehenden Spielraum der
Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der konkreten Modalitäten
eines Arbeitszeiterfassungssystems Rechnung zu tragen.
Bislang jedenfalls unterlag ein Arbeitszeiterfassungssystem (§
87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG) der Mitbestimmung des Betriebsrats
(vgl. Fitting, Kommentar zum BetrVG zu § 87 Rz. 242, 31.
Auflage, 2022). Mit Blick auf Arbeitnehmerschutzrechte und die
oft schwierige Beweislage bei der Geltendmachung von Überstunden
und Mehrarbeit ist die Entscheidung dennoch zu begrüßen. Bei
einer unzureichenden Arbeitszeiterfassung wird damit
wirkungsvoll die Beweislast verändert. Denn wenn der Arbeitgeber
kein Arbeitszeiterfassungssystem eingerichtet hat, das
transparent und damit für den Arbeitnehmer leicht erkennbar und
ablesbar funktionieren muss, genügen zum Beleg die eigenen
Notizen des Arbeitnehmers.
5.
Verfall von Urlaubstagen
Urlaubstage verfallen noch nicht einmal nach Ablauf von drei
Jahren (regelmäßige Verjährung), wenn die betreffenden
Arbeitnehmer nicht auf den drohenden Verfall ihrer
Urlaubsansprüche ausdrücklich und auch individualisiert
hingewiesen wurden. Am besten erfolgt ein ausdrücklicher
Hinweis, wann der noch bestehende Urlaub unter Benennung der
offenen Urlaubstage noch in Anspruch genommen werden kann, damit
der Verfall nicht eintritt (EuGH, C-120/21 LB). Der Entscheidung
des EuGH ist jetzt auch das BAG gefolgt (BAG vom 20.12.2022 – 9
ARZ 266/20).
6.
Erleichterte Höhergruppierung weniger qualifizierter
Arbeitnehmer mit höherwertiger Tätigkeit nach TV-L/TVöD
Eingruppierungsmerkmale nach TVöD und TV-L verlangen häufig eine
spezifische Ausbildung und einen Abschluss (Master, Bachelor,
Diplom) etwa als Sozialarbeiter oder als Pflegefachkraft. Wer
diese speziellen Qualifikationen nicht vorweisen kann, hat meist
keinen Anspruch auf dieselbe Vergütung wie die examinierten und
diplomierten Kolleg*innen. Es sei denn die Betreffenden erfüllen
die Merkmale der „Sonstigen Beschäftigten“. Das setzt aber
voraus, dass gleiche Kenntnisse der Breite und Tiefe nach
vorhanden sind, wie bei den examinierten Kräften. Die geforderte
Erfahrung können zwar viele vorweisen, nicht aber die
Kenntnisse.
Dies empfanden nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch
deren Kolleg*innen als ungerecht, wenn doch die gleiche Arbeit
verrichtet wird. Hier hilft mittlerweile eine Entscheidung des
BAG (vom 05.05.2021 – 4 AZR 666/19), die es erlaubt,
Arbeitnehmer, die zwar nicht die Ausbildungsmerkmale erfüllen
und auch keine „Sonstigen Beschäftigten“ im oben genannten Sinne
sind, zwar nicht in dieselbe Entgeltgruppe, aber nur lediglich
eine Stufe tiefer einzugruppieren. Dies ergibt sich aus den
Vorbemerkungen zur Entgeltordnung, und zwar sowohl für den TVöD
als auch für den TV-L. Eben dort ist ausdrücklich geregelt, dass
Arbeitnehmer, welche nicht das einschlägige Merkmal erfüllen und
auch nicht als Sonstige Beschäftigte entsprechend
einzugruppieren sind, dann zumindest eine Stufe tiefer
einzugruppieren sind. Das führt zu einer lediglich geringfügig
schlechteren Vergütung, da das Tabellenentgelt der unmittelbar
nächst niedrigeren Entgeltstufe in der Regel meist lediglich
50,00 € bis 120,00 € monatlich brutto geringer ist. Ansonsten
wurden diese Arbeitnehmer häufig deutlich schlechter
eingruppiert, häufig drei oder vier Entgeltstufen tiefer. Dies
lässt sich aber mit der Entscheidung des BAG nunmehr
korrigieren.
Beispiel 1: Sozialarbeiter mit schwierigen Tätigkeiten in
Entgeltgruppe S 12; Erzieher, welche dieselben schwierigen
Tätigkeiten verrichten, erhalten mitunter nur die Vergütung nach
Entgeltgruppe S 8 b, haben aber nach dem oben Ausgeführten
wenigstens Anspruch auf S 11 b (eine Stufe unter der S 12).
Beispiel 2: Erzieher mit entsprechender Tätigkeit, die besonders
schwierige fachliche Aufgaben haben, erhalten die Vergütung nach
S 8 b. Pädagogische Mitarbeiter ohne formalen Abschluss in
derselben Tätigkeit mitunter nur die S 4, haben aber wenigstens
den Anspruch auf S 8 a.
Betriebsräte können nachträglich die korrekte Eingruppierung,
abgeleitet sowohl aus der BAG-Entscheidung als auch aus den
Vorbemerkungen zur Entgeltordnung, gem. § 80 BetrVG einfordern.
Ein echtes Mitbestimmungsrecht besteht für die bereits im
Betrieb beschäftigten nicht. Bei Neueinstellungen hingegen kann
der Betriebsrat zukünftig auf die höhere Eingruppierung achten
und den Beschäftigten hierbei deutlich mehr Einkommen
verschaffen. Vor allem bei Neueinstellungen wird der Betriebsrat
zukünftig auf die höhere Eingruppierung achten und den
Beschäftigten hierbei deutlich mehr Einkommen verschaffen
können. Zuletzt aber sind es die Betroffenen selbst, die dann
die Ansprüche geltend machen und ggf. auch den Klageweg
beschreiten müssen.
Voraussetzung ist aber immer, dass die Entgeltordnung entweder
des TVöD oder des TV‑L anzuwenden ist.
423
Aktuelle arbeitsgerichtliche Entscheidungen:
1. Unterscheidung zwischen zuschlagspflichtiger Überstunden
und nicht zuschlagspflichtiger Mehrarbeit vom BAG bestätigt.
Mehr…
2. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der
Vergütungsordnung endet beim Mindestlohn.
Mehr…
3. Fahrradkuriere müssen vom Arbeitgeber ein
verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges
Mobiltelefon gestellt erhalten.
Mehr…
4. Ärztlicher Hintergrunddienst ist häufig statt
Rufbereitschaft an sich höher zu vergütender
Bereitschaftsdienst.
Mehr…
5. Unbezahlte Überstunden + nicht vorhandene
Arbeitszeiterfassung = Geld
Mehr…
6. Versetzung an einen anderen Arbeitsort –
AVR-Caritas-Direktionsrecht – keine Sozialauswahl erforderlich.
Mehr…
7. Außerordentliche Kündigung bei vorsätzlich falsch
ausgefüllten Formularen zur Erfassung von Überstunden.
Mehr…
8. Nichtverlängerungsmitteilung – Altersdiskriminierung.
Mehr…
9. Außerordentliche Kündigung und Unterrichtung der
Mitarbeitervertretung.
Mehr…
10. Eine Betriebsvereinbarung, die nur wirksam wird, wenn die
Belegschaft zustimmt, ist rechtswidrig und unwirksam.
Mehr…
Aktuelle BAG-Entscheidungen:
1. Die kritikwürdige Entscheidung des BAG, wonach sachgrundlose
Befristungen nach einer dreijährigen Unterbrechung, immer wieder
neu möglich sein sollten, ist zum Glück Rechtsgeschichte. Das
BAG kehrt nach sieben Jahren und einem Rüffel durch das
Bundesverfassungsgericht zur alten Linie zurück (23.01.2019 – 7
AZR 733/16). Eine neue sachgrundlose Befristung (§ 14 Abs. 2 S.
1 TzBfG) ist selbst bei achtjähriger Unterbrechung des
Arbeitsverhältnisses nicht möglich.
2. Reisezeit ist wie Arbeitszeit zu vergüten.
Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 17.10.2018 – 5 AZR 553/17
– klargestellt, dass Reisezeiten schließlich im Interesse des
Arbeitgebers stattfinden und daher auch bei längeren Reisezeiten
keine Pauschalvergütungen rechtens sind. Aber Achtung: die auf
Reisen verbrachte Zeit ist aber keine, die den Höchstgrenzen des
Arbeitszeitgesetzes unterliegt. Es sei denn, man sitzt selbst am
Steuer. Dann gelten die Höchstgrenzen des Arbeitszeitgesetzes.
Bezahlt werden muss also in Zukunft auch, wer entspannt im Zug
reist.
3. Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen die zum Verfall von
Ansprüchen führen sind in Arbeitsverträgen die nach dem
31.12.2014 geschlossen wurden insgesamt unwirksam, wenn
Ansprüche nach dem Mindest-lohngesetz nicht ausdrücklich hiervon
ausgenommen sind.
Das BAG hat in einer Entscheidung vom 18.09.2018 – 9 AZR 162/18
– klargestellt, dass das Mindestlohngesetz nicht durch
arbeitsvertragliche Ausschlussfristen unterlaufen werden kann.
Dies würde ansonsten gegen den garantierten Mindestlohn (§ 1
MiLoG) verstoßen. Wegen des sog. Transparenzgebots der
BGB-Regelungen über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 307
Abs. 1 S. 2 BGB) ist eine im Arbeitsvertrag enthaltene
Ausschlussfrist damit insgesamt unwirksam und nicht nur insoweit
der Mindestlohn von der Ausschlussfrist erfasst ist. Mit dieser
Entscheidung können in Zukunft sicher so manche Ansprüche auf
Arbeitsentgelt „gerettet“ werden, die ansonsten verfallen wären.
Die Grenze für den Verfall ist damit die Verwirkung bzw. die
Verjährung.
4. Selbst tarifliche Ausschlussfristen können den Anspruch auf
den Mindestlohn nicht ausschließen.
Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 20.06.2018 – 5 AZR 377/17
– klargestellt, dass die kurze Ausschlussfrist des BRTV-Bau mit
zwei Monaten zwar nicht gänzlich unwirksam ist (im Unterschied
zu oben 2., einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist), aber im
Hinblick auf den Anspruch auf den Mindestlohn jedenfalls keine
Wirkung entfalten kann.
5. Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf Zahlung von 40,00 €
Verzugspauschale (§ 288 Abs. 5 BGB), wenn der Lohn einmal
verspätet gezahlt wurde.
Das BAG hat in einer Entscheidung vom 25.09.2018 - 8 AZR 26/18
klargestellt, dass dies der Kostenfreiheit des
arbeitsgerichtlichen Verfahrens I. Instanz (§ 12a ArbGG)
widerspricht. Eine bedauerliche Entscheidung, viele
Instanzgerichte jedenfalls hatten bis vor kurzem
noch die 40,00 € ausgeurteilt. Damit wird wohl nun Schluss sein.
6. Arbeitsverträge mit einer üblichen Rückzahlungsklausel einer
im November gezahlten Sonderzuwendung (Weihnachtsgeld etc.) bei
einem Ausscheiden bis zum 31.03. des Folgejahres sind in
Einzelarbeitsverträgen nicht mehr wirksam.
Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 27.06.2018 – 10 AZR,
290/17 – zwar klargestellt, dass eine tarifvertragliche
Rückzahlungs-
verpflichtungsklausel für ein im November fälliges
Weihnachtsgeld beim Ausscheiden bis zum 31.03. des Folgejahres
noch zulässig ist. Was für eine tarifvertragliche Regelung noch
geht, ist aber bei einer einzelvertraglichen Vereinbarung
unwirksam. Begründung: Es schränkt die Kündigungsmöglichkeiten
eines Arbeitnehmers unverhältnismäßig ein und verletzt damit das
Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Auch entzieht
eine Rückzahlungsklausel bereits erarbeitetes Entgelt.
7. Der Urlaub kann beim Jahreswechsel nicht mehr so ohne
Weiteres verfallen.
Bislang konnte ein Urlaub über den Jahreswechsel nur erhalten
werden, wenn der Urlaub kraft vertraglicher Vereinbarung auf das
Folgejahr übertragen wurde oder aber der Urlaub wegen Krankheit
oder weil der Arbeitgeber ihn aus betrieblichen Gründen
ablehnte, nicht genommen werden kann.
Seit der Entscheidung des EuGH vom 06.11.2018 (C-684/16) ist
klargestellt, dass der Arbeitgeber sich nur dann auf den Verfall
des Urlaubs zum Jahreswechsel berufen kann, wenn er zuvor den
Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub zu nehmen
und er ihn über den Urlaubsanspruch und insbesondere wie der
Urlaub zu nehmen ist, aufgeklärt hat.
Aktuelle arbeitsgerichtliche Entscheidungen:
1. Das LAG Berlin-Brandenburg (19.12.2017 – 11 Sa 1195/17) hatte
die Frage zu entscheiden, ob der Nachtzuschlag im Seniorenheim
mit 25% oder 30% angemessen sei. Das LAG war der Auffassung,
dass ein Zuschlag von 25% angemessen ist und § 6 Abs. 5 ArbZG
diesen Zuschlag entweder als Freizeit oder als geldwerte
Leistung begründet. Bei Dauernachtwachen bestätigte das LAG die
Rechtsprechung des BAG und vertrat die Auffassung, dass hierfür
30% angemessen sind.
Aber Achtung: 30% gibt es nur dann, wenn die Tätigkeit als
Dauernachtwache unvermeidbar ist. Wer freiwillig als
Dauernachtwache arbeitet, obschon der Arbeitgeber ausdrücklich
auch die Wechselschicht anbot, hat nur einen Zuschlag von 25% zu
beanspruchen. Grundsätzlich gilt aber, wenn ein Tarifvertrag
nichts anders regelt: 25% Nachtzuschlag z. B. bei
Wechselschicht; bei dauernder Nachttätigkeit aber 30%.
2. Das LAG Berlin-Brandenburg (17.11.2017 – 2 Sa 965/17) hat die
Weisung eines Arbeit-gebers, der nach Rücknahme einer Kündigung
den Arbeitnehmer anwies, an einem 170 km weit entfernten Ort
seine Tätigkeit aufzunehmen, für unwirksam erklärt.
Viele Arbeitnehmer haben in ihren Verträgen eine zugunsten der
Arbeitgeber großzügige Versetzungsklausel vereinbart. Macht der
Arbeitgeber von ihr Gebrauch, um den Mitarbeiter loszuwerden,
kann der Arbeitnehmer die Weisung überprüfen lassen. Die
Rechtsprechung fragt bei der Leistungsbestimmung, ob sie nach
billigem Ermessen vorgenommen, ob die wechselseitigen Interessen
wirklich abgewogen wurden. Geprüft wird nicht nur anhand
allgemeiner Wertungsgrundsätze der Verhältnismäßigkeit, sondern
auch anhand der Angemessenheit, der Verkehrssitte und auch der
Zumutbarkeit. Alle Umstände des Einzelfalls sind einzubeziehen,
also einschließlich etwa der beiderseitigen Vor- und Nachteile
außervertraglicher Art, der Vermögens- und
Einkommensverhältnisse sowie der sozialen Lebensverhältnisse,
familiären Pflichten und bestehende Unterhaltsverpflichtungen.
Danach widersprach die Versetzung billigem Ermessen, da der
Arbeitgeber nicht darlegen konnte, warum der Kläger nicht auch
am bisherigen Betriebssitz weiterbeschäftigt werden konnte,
zumal er privat Verpflichtungen vor Ort zu erfüllen hat, und
warum plötzlich am weit entfernt liegendem Ort ein
Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer bestehe. Die
Versetzung war unwirksam, da unzumutbar.
3. Das BAG hatte sich 2017 in zwei Beschlüssen (28.03.2017 – 1
ABR 25/15 sowie 18.07.2017 – 1 ABR 59/15) mit dem betrieblichen
Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit §
3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG) befasst, ein häufiges Thema für
Einigungsstellen, und hierbei verlangt, dass eine konkrete
Gefahr und die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer
Rechtsgutverletzung nach erwartbarem Geschehensverlauf
festgestellt wird.
Der Gefährdungsbegriff ist auf physische und psychische
Schädigungen gleichermaßen anwendbar. Die bisherige
Unterscheidung zwischen allgemeinen Generalklauseln und
Rahmenvorschriften wurde aufgegeben. Dadurch wurde das
betriebliche Mitbestimmungsrecht erweitert.
Es ist jedoch zu beachten, dass eine Gefährdung erst dann als
konkret anzusehen ist, wenn diese entweder feststeht oder im
Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festgestellt wurde. Eine
solche Gefährdungsbeurteilung kann jedoch nicht Aufgabe einer
Einigungsstelle sein. Sämtliche Ergebnisse einer
Einigungsstelle, die ohne die erforderlichen Voraussetzungen
erzielt wurden, werden regelmäßig als unwirksam anzusehen sein.
Die Gefährdungsbeurteilung muss also vor dem Beginn des
Einigungsstellenverfahrens abgeschlossen sein.
4. Der EuGH (17.04.2018 – C-414/16) wirft das arbeitsrechtliche,
kirchliche Privileg der Selbstbestimmung und das kirchliche
Selbstverständnis zwischen „verkündungsnaher“ und
„verkündungsferner“ Tätigkeiten zu unterscheiden und in der
Folge weitgehend der gerichtlichen Kontrolle zu entziehen, auf
den Müllhaufen der Rechtsgeschichte.
Der EuGH hat postuliert, dass, abgesehen von ganz
außergewöhnlichen Fällen, es Aufgabe der Gerichte ist, das Recht
der Arbeitnehmer auch gegenüber Religionsgemeinschaften zu
schützen, selbst dort, wo es um die durchaus erkannte
Legitimität des Ethos der betreffenden Kirche oder
Weltanschauung geht. Wird eine Bewerberin wegen nicht
vorhandener Religiongszugehörigkeit von vorn herein aussortiert,
hat ein Arbeitsgericht zu prüfen, ob eine Diskriminierung
vorliegt und zwar anhand der Anforderungen des europäischen
Rechts (Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78) und zu prüfen, ob
wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche
Anforderungen als Maßstab angelegt wurden. Für die
„Rechtmäßigkeit“ ist entscheidend, dass ein objektiv
überprüfbarer direkter Zusammenhang zwischen den beruflichen
Anforderungen und der fraglichen Tätigkeit vorliegen muss. Das
Kriterium „wesentlich“ stellt darauf ab, ob die Zugehörigkeit
zur Religion, auf der das Ethos der betreffenden Kirche beruht,
aufgrund der Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit
für die Begründung dieses Ethoses zur Ausübung und Wahrung der
Autonomie der Religionsgemeinschaft notwendig erscheint. Zudem
muss die Rechtmäßigkeit gewährleistet sein, also geprüft werden,
ob nicht Anforderungen aufgestellt werden, die nicht zur
Verfolgung eines sachlich gerechtfertigten Ziels dienen oder
ohne Bezug zum Ethos der Organi-sation stehen. „Gerechtfertigt“
bedeutet, dass die Kriterien durch ein innerstaatliches Gericht
überprüfbar sein müssen und die kirchliche Organisation im
Lichte der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls belegen muss,
dass Gefahr für die Beeinträchtigung ihres Ethos besteht, die
Anforderungen also notwendig sind. Damit haben aber die
nationalen Gerichte auch die Aufgabe zu überprüfen, ob die
Anforderungen angemessen sind oder diese zur Erreichung des
angestrebten Ziels das Maß des erforderlichen überschreiten. Im
Grunde findet nunmehr eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt.
Selbstverständlich muss eine Bewerberin für die Position einer
Pfarrerin Mitglied der Religionsgemeinschaft sein.
Selbstverständlich muss der Gärtner nicht Mitglied dieser oder
einer anderen Religionsgemeinschaft sein, um für diese arbeiten
zu können. Die Grenzbereiche werden aber spannend. Wenn sich die
1. Frau für den Posten eines katholischen Pfarrers bewirbt und
abgelehnt wird, dürfte die Frage nach dem Ethos der Kirche und
ihr Rechtfertigungsdruck vor weltlichen Gerichten auch die ein
oder andere gesellschaftliche Debatte nach sich ziehen.
Weitere arbeitsgerichtliche Entscheidungen
1. Das BAG hat durch Beschluss vom 22.11.2017 festgestellt, dass
bei Betriebsratswahlen die Anordnung des d´Hondtschen
Höchstzahlverfahrens zur Verteilung der Betriebsratssitze gemäß
§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO BetrVG verfassungsgemäß ist. Zwar gibt
es auch andere Verfahren, die insbesondere kleineren
Gruppierungen Vorteile verschaffen. Dennoch ist aber das
d´Hondtsche Höchstzahlverfahren verfassungsgemäß, da es
Mehrheiten sichert und damit die Funktionsfähigkeit eines
Betriebsratsgremiums gewährleistet (- 7 ABR 35/16 - PM).
2. Dynamische arbeitsvertragliche Verweisungen auf kirchliches
Arbeitsrecht gelten auch nach einem erfolgten Betriebsübergang
auf weltliche Erwerber weiter. Das BAG hatte dies am 23.11.2017
(6 AZR 683/16) festgestellt. Arbeitsvertraglich waren hier die
Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) dynamisch in Bezug genommen.
Der Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB konnte die
Dynamik aus dem Arbeitsvertrag nicht zerstören. Die Entscheidung
liegt auf der Linie mehrerer aktueller BAG-Entscheidungen zu
dynamischen Verweisungsklauseln.
3. Das BAG hat leider die Befristung einer Maskenbildnerin mit
künstlerischem Vertrag gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG als
wirksam und gerechtfertigt anerkannt. Die Kunstfreiheit
rechtfertige die Befristungsmöglichkeit. Sie entsprechen der
Eigenart der Arbeitsleistung. Was bei einem Schauspieler sicher
die Begründung trägt, wirft bei Maskenbildnerinnen jedenfalls
von der Tatsachenseite her doch erhebliche Zweifelsfragen auf
(13.12.2017 – 7 AZR 369/16 – PM).
4. Die Befristungsmöglichkeit eines Lizenzspielervertrags in der
Fussballbundesliga gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG ist meiner
Ansicht nach gerechtfertigt. Das BAG jedenfalls hat dies in
seiner Entscheidung vom 16.01.2018 – 7 AZR 312/16 – damit
begründet, dass Lizenzspieler im Zusammenspiel mit der
Mannschaft sportliche Höchstleistungen erbringen müssen und dies
schließlich nur über eine begrenzte Zeit gehe (PM).
5. Immer noch gibt es Streit über die Verrechnung von
zusätzlichen Vergütungsansprüchen mit dem Mindestlohn. So hat
das BAG (am 20.09.2017 – 10 AZR 171/16) festgestellt, dass die
Entgeltfortzahlung an Feiertagen dem Mindestlohn entsprechen
muss, wenn nichts Günstigeres im Arbeitsvertrag oder
Tarifvertrag vereinbart ist. Auch hat das BAG klargestellt, dass
der zwingende Nachtarbeitszuschlag (§ 6 Abs. 5 ArbZG) auf den
tatsächlichen Stundenverdienst hin zu zahlen ist und der
Stundenverdienst mindestens dem Mindestlohn zu entsprechen hat.
Dem Trick mit einem niedriger als dem Mindestlohn vereinbarter
Stundenlohn, die Entgeltfortzahlung oder das Urlaubsentgelt
unter den Mindestlohn zu drücken, erteilte das BAG hiermit eine
klare Absage (PM).
6. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte eine
ordentliche Kündigung eines Mitarbeiters des Ordnungsamtes
bestätigt, der provokant Hitlers „Mein Kampf“, dessen
Buchumschlag mit einem Hakenkreuz gekennzeichnet war, während
des Dienstes gelesen hatte. Die Einlassungen des Klägers, wonach
sein Verhalten seiner Antiquitätensammelleidenschaft geschuldet
war und mit Blick auf die politische Provokation einem
„Augenblicksversagen“ geschuldet war, lies das LAG zu Recht
nicht durchgehen. Eine Abmahnung war entbehrlich (LAG
Berlin-Brandenburg vom 25.09.2017 – 10 Sa 899/17).
7. Es besteht kein Anspruch des Betriebsrats auf Einblick in die
unternehmensbezogenen Bruttolohnlisten, sondern nur auf die
Listen des Betriebs, für den der Betriebsrat gebildet ist (BAG
vom 26.09.2017 – 1 ABR 27/16). Tragender Grund war, dass es
Aufgabe des Betriebsrats ist, lediglich innerbetriebliche
Lohngerechtigkeit herzustellen und darauf hinzuwirken. Dafür
benötigt er zwar die Kenntnis effektiv gezahlter Vergütungen.
Die Grenze aber seiner Gestaltungsmöglichkeiten korrespondiert
mit der Grenze des Einblicksrechts.
Aktuelle Entscheidungen des EuGH, BAG und LAG Berlin-Brandenburg:
1. BAG möchte Versetzungen erschweren
Der 10. Senat des BAG (Beschluss vom 14.06.2017 – 10 AZR 330/16)
möchte bei Versetzungen die Rechtsposition der Arbeitnehmer
verbessern. Aufgrund der Rechtsprechung des 5. Senats des BAG
sieht er sich daran gehindert. Danach waren Arbeitnehmer
zunächst einmal gezwungen, der Versetzungsentscheidung
nachzukommen, um parallel die Versetzung gerichtlich überprüfen
zu lassen, die dann bei Unwirksamkeit und Rechtswidrigkeit der
Versetzung dazu führt, dass sie rückgängig zu machen ist. Ein
Problem dabei war, dass man zunächst einmal der Versetzung
nachkommen musste. Der 10. Senat möchte aber nunmehr die
Auffassung vertreten, dass der Arbeitnehmer den Weisungen des
Arbeitgebers auch nicht vorläufig folgen muss. Die Sache liegt
also nunmehr beim 5. Senat, der entscheiden muss, ob er an
seiner bisherigen Rechtsauffassung festhält. Es bleibt zu
hoffen, dass er die rigide Position aufgibt. Sonst muss der
gemeinsame Senat des BAG entscheiden.
2. Überwachung mittels Keylogger-Verwertungsverbot
Das BAG hat die Rechtsposition von Arbeitnehmern, bei welchen
der Arbeitgeber die Internetnutzung durch sog. Keylogger
überwacht, gestärkt (vgl. BAG vom 27.07.2017 – 2 AZR 681/16).
Wenn ein Arbeitgeber ohne einen speziellen Verdacht und ohne
dass ein konkreter Anlass besteht, Mitarbeiter bei der
PC-Nutzung überwacht und z. B. die Tastatureingaben
protokolliert und regelmäßig Bildschirmfotos, sog. Screenshots
fertigt, verletzt er das allgemeine Persönlichkeitsrecht der
Mitarbeiter und das informationelle Selbstbestimmungsrecht (Art.
2, Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Das Neue an dieser
Entscheidung ist, dass das BAG wegen des Verstoßes gegen § 32
Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz und wegen der Verletzung des
Persönlichkeitsrechts und des informationellen
Selbstbestimmungsrechts bei einer derartigen pauschalen
Überwachung ein Verwertungsverbot erkannte, also im Unterschied
zu früheren Entscheidungen die verbotenen Früchte der
unzulässigen Beweis- und Ausforschung nicht einfach verwendet,
sondern für die Beurteilung einer darauf gestützten Kündigung
ausschließt. Ein wichtiger auch prozessual bedeutsamer Schritt
(„Keine Verwertung der verbotenen Früchte“).
3. Verhaltensbedingte Kündigung bei Verstoß gegen Alkoholverbot
unwirksam
Bei einem bereits seit 32 Jahren bestehenden
Arbeitsverhältnisses, welches in der Vergangenheit nicht
belastet war, kann ein Verstoß gegen das Alkoholverbot nicht zur
Kündigung führen. Vom Rechtsgrundsatz ausgehend, dass nur dann,
wenn von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung
beim Arbeitnehmer in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu
erwarten steht, hätte die Kündigung Erfolg haben können (vgl. §
314 Abs. 2 BGB i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB, LAG Berlin-Brandenburg
vom 02.05.2017 – 11 Sa 2062/16).
Klargestellt hat das LAG aber, dass nach einer einschlägigen
Abmahnung im Wiederholungsfall eine Kündigung wohl
gerechtfertigt wäre. Vorliegend hatte weder der Verstoß gegen
das Alkoholverbot, noch das Überziehen der Pausen und das
Leugnen der Alkoholisierung mit Blick auf die langjährige
Beschäftigung die Kündigung gerechtfertigt.
4. Krankheitsbedingte Kündigung und BEM
Das LAG Berlin-Brandenburg hatte in einer Entscheidung vom
18.05.2017 (5 Sa 1300/16) die Frage einer krankheitsbedingten
Kündigung zu überprüfen, bei welcher ein nach § 84 Abs. 2, S. 1
SGB IX ansonsten gebotenes betriebliches
Eingliederungsmanagement (BEM) vor Ausspruch der
krankheitsbedingten Kündigung nicht durchgeführt wurde.
Das LAG hat für Fälle, in welchen ein solches BEM-Verfahren im
Falle einer krankheitsbedingten Kündigung nicht durchgeführt
wurde, postuliert, dass der Arbeitgeber dann im
Kündigungsschutzprozess umfassend und detailliert vorzutragen
hat, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen
Arbeitsplatz, noch nach dessen leidensgerechter Anpassung oder
Veränderung möglich gewesen ist und der Arbeitnehmer auch nicht
auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe
eingesetzt werden können, warum also ein BEM in keinem Fall dazu
hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen
und das Arbeitsverhältnis zu erhalten.
In diesem Zusammenhang kommt auch dem Betriebsrat eine große
Verantwortung zu, etwa in dem er andere Einsatzmöglichkeiten im
Zusammenhang mit krankheitsbedingten Kündigungen aufzeigt oder
aber die Umgestaltung von Arbeitsplätzen, hin zu einer
leidensgerechten Veränderung benennt.
5. Kündigungserklärungsfrist und personalvertretungsrechtliches
Mitwirkungsverfahren
Nach dem Personalvertretungsrecht bedarf es selbst bei einer
fristlosen Kündigung der ausdrücklichen Zustimmung des
Personalrats. Da hierfür lange dauernde
Einigungsstellenverfahren durchzuführen sind, kann naturgemäß
die Zweiwochenfrist, innerhalb der eine fristlose Kündigung,
wenn der Arbeitgeber vom Kündigungssachverhalt Kenntnis erlangt,
nicht gehalten werden (vgl. § 626 Abs. 2 BGB). Das LAG
Berlin-Brandenburg hat am 24.05.2017 – 17 Sa 71/17 entschieden,
dass zwar einerseits die Zweiwochenfrist gewahrt wird, wenn der
Arbeitgeber innerhalb dieser Frist das Beteiligungsverfahren
beim Personalrat eingeleitet hat. Wenn er aber das Verfahren
selbst verschleppt, weil er sich drei Wochen lang Zeit lässt
interne Informationen herbeizuschaffen oder aber nach Abschluss
des Verfahrens die Kündigung nicht sofort ausfertigt, weil noch
unerklärliche Mitwirkungshandlungen innerhalb der Behörde deren
Absendung verhindern, führt dies nachträglich dazu, dass die
Zweiwochenfrist „gerissen“ wird, trotz der großzügigen
Verlängerung der entsprechenden Frist, wenn zumindest das
Verfahren rechtzeitig beim Personalrat eingeleitet wurde.
Weitere aktuelle Entscheidungen des EuGH, BAG und LAG
Berlin-Brandenburg
1. Rote-Kreuz-Schwestern sind Arbeitnehmer und als
Leiharbeitnehmer einzuordnen, wenn diese von einem Verein, der
keinen Erwerbszweck verfolgt, zu einem sog. Gestellungsentgelt
an andere Unternehmen überlassen werden.
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2. Der Betriebsrat hat bei Facebook-Auftritten des Arbeitgebers
ein Mitbestimmungsrecht zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der
Mitarbeiter, wenn Besucher Beiträge mit Bezug auf das Verhalten
oder die Leistung einzelner Beschäftigter posten können.
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3. Verweigert der Arbeitgeber dem Betriebsrat einen
Sachverständigen gemäß § 80 Abs. 3 BetrVG, stimmt also der
Arbeitgeber der Beauftragung nicht ausdrücklich zu, musste der
Betriebsrat zunächst auf Zustimmung klagen und konnte erst dann
den Anwalt als Sachverständigen anfragen, wenn die Sache sich
oft schon erledigt hat.
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4. Das BAG hat eine Umdeutung einer unwirksamen
Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage für den Fall
angenommen, dass der Arbeitgeber sich jedenfalls gegenüber den
Arbeitnehmern ausdrücklich verpflichten wollte.
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5. Häufig verfallen Urlaubsansprüche nach dem Jahreswechsel
ersatzlos. Das LAG Berlin-Brandenburg hat zur Vermeidung eines
solchen Ergebnisses eine sehr erfreuliche Entscheidung
getroffen, wonach es Sache des Arbeitgebers ist, darauf
hinzuwirken, dass der Arbeitnehmer tatsächlich im laufenden
Kalenderjahr seinen Urlaub nimmt.
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Weitere aktuelle Entscheidungen und gesetzliche Neuregelungen:
Arbeitsgerichtliche Entscheidungen
1. Krasser geht es nicht: Das LAG Schleswig-Holstein hatte zu
beurteilen, ob ein Arbeitnehmer, der sich selbst als Kameramann
verlieh, im Anstellungsverhältnis zum Entleihbetrieb steht.
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2. Das Oberverwaltungsgericht Münster sichert Beschäftigten der
Logistikbranche den arbeitsfreien Sonntag.
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3. Manche Arbeitgeber machen es sich mit der
Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu einer
beabsichtigten Kündigung allzu leicht.
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4. Die Mitbestimmung des Betriebsrats beim betrieblichen
Eingliederungsmanagement (BEM) kennt Grenzen.
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5. Nachtzuschlag in Höhe von 25 % für Arbeitnehmer, die
regelmäßig Nachtarbeit leisten.
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6. Ein Betriebsratsmitglied, welches die Domain-Adresse mit dem
Namensbestandteil des Arbeitgebers und dem Zusatz „-br.de“
sichert, verletzt nicht das Namensrecht des Arbeitgebers.
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7. Das BAG hat festgestellt (Beschluss vom 20.04.2016 - 7 ABR
50/14), dass der Arbeitgeber grundsätzlich nicht dazu
verpflichtet ist, dem Betriebsrat unabhängig von seinem Netzwerk
einen eigenen Internetzugang zur Verfügung zu stellen.
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8. Bei Unternehmen mit mitbestimmtem Aufsichtsrat sind nicht nur
die eigenen Arbeitnehmer, sondern auch die Leiharbeitnehmer für
die maßgeblichen Schwellenwerte, also z. B. dem Übergang von der
Direktwahl zur Delegiertenwahl, maßgeblich (BAG, Beschluss vom
04.11.2015 – 7 ABR 42/13).
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9. Die betriebliche Arbeitszeit im Sinne des
Mitbestimmungsrechts gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG umfasst auch
die Zeiten für das An- und Ablegen einer besonders auffälligen
Dienstkleidung. mehr...
BAG: Überstundenschätzung mehr...
Leiharbeitnehmer zählen für die Zahl wahlberechtigter
Arbeitnehmer mit
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Bezahlte Raucherpausen
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Gestellung in Zukunft gesichert
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Kanzlei
für Arbeitsrecht in Schöneberg Klaus Stähle |