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Aktuelle
arbeitsgerichtliche Entscheidungen:
1.
1. Unbezahlte Überstunden und fehlende Arbeitszeiterfassung
Wer schon einmal Überstunden einklagte, wird bemerkt haben,
wie schwierig es ist, zu seinem Recht zu gelangen.
Erleichterung zeichnet sich infolge der Entscheidung des
EuGH vom 14.05.2019 – C-55/18 ab.
Der EuGH verlangt ein Arbeitszeiterfassungssystem. Fehlt ein
solches System, gilt für den Arbeitnehmer eine
Beweiserleichterung und es erfolgt eine Beweislastumkehr.
Das Arbeitsgericht Emden (20.02.2020 – 2 Ca 94/19)
entschied, wer Überstunden und Arbeitszeit geltend macht,
kann sich auf eigene Aufzeichnungen zum Beleg berufen. Die
eigenen Notizen genügen, wenn der Arbeitgeber kein
Arbeitszeiterfassungssystem eingerichtet hat. Nur ein
Arbeitszeiterfassungssystem, das objektiv und verlässlich
die Daten erhebt und für den Arbeitnehmer zugänglich ist,
erfüllt die Anforderungen.
Objektiv ist ein Arbeitszeiterfassungssystem, wenn dieses es
dem Arbeitnehmer ermöglicht, die geleistete Arbeitszeit mit
Hilfe der Aufzeichnungen nachzuweisen. Verlässlich ist ein
solches System nur dann, wenn Manipulationen ausgeschlossen
sind. Zugänglich ist ein solches System nur dann, wenn der
Arbeitnehmer zur Durchsetzung seiner Rechte auf die
Dokumente und Daten im Bedarfsfall als Beweismittel
zugreifen und nutzen kann.
Wer sich seine Arbeitszeiten also persönlich genau notiert,
hat gute Chancen, die Bezahlung von Überstunden mit Erfolg
durchzusetzen, wenn der Arbeitgeber kein
Zeiterfassungssystem hat.
2.
2. Versetzung nach AVR-Caritas
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (vom 05.11.2019 – 8
SR 28/19) hatte die Versetzung eines Mitarbeiters an einen
anderen Arbeitsort unter der Geltung der AVR des Deutschen
Caritasverbands zu überprüfen. Es hat klargestellt, dass es
einer sozialen Auswahl wie z. B. bei einer betriebsbedingten
Kündigung bei einer Versetzung nicht bedarf. Auch muss der
Arbeitgeber nicht stets das mildeste Mittel wählen und ist
auch nicht verpflichtet, stets den optimalen Ausgleich
zwischen den Interessen des Arbeitnehmers und den
Arbeitgeberinteressen zu suchen. Erst dann, wenn es sich dem
objektiven Betrachter aufdrängt, dass die Maßnahme deutlich
über das Ziel hinausschießt, also den Mitarbeiter sozusagen
unnötig belastet, kann sie gegen billiges Ermessen verstoßen
(§ 106 S. 1 GewO, § 315 BGB). Das heißt obwohl der Kläger
des erwähnten Verfahrens nunmehr einen 30 km längeren Weg
zur Arbeit hat und sich sogar aufgrund der besonderen
Bereitschaftsdienstregelung in der anderen Einrichtung seine
Vergütung verkürzt, war die Versetzungsentscheidung nicht zu
beanstanden.
3.
3. Außerordentliche Kündigung bei vorsätzlich falsch
ausgefüllten Formularen zur Erfassung von Überstunden
Das BAG hat (13.12.2018, 2 AZR 370/18) klargestellt, dass
derjenige, der sich großzügig Überstunden aufschreibt, die
er tatsächlich nicht geleistet hat, „an sich“ einen
wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung liefert. Der
Arbeitnehmer, dem eine Zulage gekürzt worden war, was er als
ungerecht empfand, wurde durch seinen Vorgesetzen und eine
Mitarbeiterin der Personalverwaltung ermutigt, sich durch
das Aufschreiben von Überstunden eine Kompensation zu holen.
Das BAG hat klargestellt, dass trotz einer solchen
Konstellation der Arbeitnehmer sich keinesfalls auf einen
Rechtsirrtum berufen könne. Die Pflichtwidrigkeit musste
klar sein. Er hätte, wenn er der Überzeugung war, dass ihm
seine Zulage zu Unrecht genommen wurde, den Rechtsweg
beschreiten müssen. Auch ging es nicht um ein einmali-ges
Fehlverhalten, sondern um einen Zeitraum von fünf Jahren.
4.
4. Nichtverlängerungsmitteilung – Altersdiskriminierung
Das BAG (20.03.2019, 9 AZR 237/17) erachtete eine
Nichtverlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags als
Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters (§
7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG). Im konkreten Fall hatte ein
Theater drei der ältesten Tanzgruppenmitgliedern gegenüber
eine sog. Nichtverlängerungsmitteilung ausgesprochen. Damit
sprach eine starke Vermutungswirkung (§ 22 AGG) für eine
Benachteiligung aufgrund des Alters.
5.
5. Außerordentliche Kündigung und Unterrichtung der
Mitarbeitervertretung
Das BAG hat (22.10.2015 – 2 AZR 650/14) klargestellt, dass
der Dienstgeber im Rahmen der MAVO (§ 30 Abs. 1, § 31 Abs.
1) seiner Mitteilungspflicht an die Mitarbeitervertretung
genügt, wenn er dieser seine subjektiven Beweggründe, die
zum Ausspruch der Kündigung führen sollen, darlegt
(subjektive Determination). Hierfür muss der Dienstgeber
nicht alle erdenklichen, sondern nur die für ihn
maßgeblichen Kündigungsgründe mitteilen. Die
Mitteilungspflicht reicht auch nicht so weit wie die
Darlegungslast im möglichen sich anschließenden
Kündigungsschutzprozess. Es genügt, dass der Dienstgeber den
Kündigungsgrund unter Angabe von Tatsachen so beschreibt,
dass die Mitarbeitervertretung ohne zusätzliche eigene
Nachforschungen eine sachgerechte Stellungnahme abgeben
kann. Keinesfalls genügen lediglich pauschale Angaben oder
Mitteilungen eines Werturteils. Die Rechte der MAV gehen
also nicht weiter als jene eines Betriebsrats. Denn auch
hier gilt der Grundsatz der subjektiven Determination.
6.
6. Eine Betriebsvereinbarung, die nur wirksam wird, wenn die
Belegschaft zustimmt, ist rechtswidrig und unwirksam.
Die normative Wirkung einer Betriebsvereinbarung (BV) darf
nicht von einem Zustimmungsquorum der Belegschaft abhängig
gemacht werden (BAG vom 28.07.2020 – 1 ABR 4/19). In der BV
war festgelegt, dass diese nur dann in Kraft treten soll,
wenn 80 % der Belegschaft zustimmt. Da der Betriebsrat
Repräsentant der Belegschaft ist und plebiszitäre Elemente
dem Betriebsverfassungsgesetz fremd sind, auch kein
imperatives Mandat durch den Betriebsrat wahrgenommen wird,
hat das BAG klar die Wirksamkeit einer solchen
Betriebsvereinbarung verneint. Es ging sogar so weit, die
komplette Betriebsvereinbarung damit für unwirksam zu
erklären. Argument: eine Teilunwirksamkeit kommt hier nicht
in Betracht, da das Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung
von einer inhaltlich unwirksamen Teilregelung bestimmt war.
Wer also ein Quorum der Belegschaft bemühen will, muss mit
dem Konstrukt der Regelungsabrede und individualrechtlicher
Übernahmen solcher Vereinbarungen andere Wege gehen, als die
einer normativ und zwingend geltenden Betriebsvereinbarung.
Sind sich die Betriebsparteien einig, können derlei
Unsicherheiten natürlich auch nachträglich durch Abänderung
der Betriebsvereinbarung und individuelle Vereinbarungen
geheilt werden.
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