Anhörung
zum Gesetzentwurf
Brandenburgisches Gesetz über Mindestanforderungen für die
Vergabe von öffentlichen Aufträgen am 06.07.2016
Sehr geehrter Herr Holzschuher,
anbei übersende ich Ihnen die erbetene Stellungnahme zum
Gesetzentwurf der Landesregierung für ein
Brandenburgisches Gesetz über Mindestanforderungen für die
Vergabe von öffentlichen Aufträgen (BbgVergG)
I. Rechtliche Gesichtspunkte
Als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht erlaube
ich mir unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten
festzustellen, dass das Gesetz die in der Zweckbestimmung
benannten Aufgaben erfüllt. Konsequent wurden die sozialen
Mindeststandards ausformuliert und durch eine Vielzahl
wechselseitiger Rückbezüge abgesichert. Die von den
Unternehmen hierbei abgeforderten Mindestbedingungen sind
aus arbeitsrechtlicher Sicht auch praktikabel. Soweit
Arbeitsvertragsänderungen im Einzelfall erforderlich sind,
können dies die Unternehmen in aller Regel unproblematisch
für den konkreten Auftrag umsetzen, da es sich in der Regel
um Verbesserungen für die Mitarbeiter handelt.
Unter dem Gesichtspunkt der praktischen Rechtsanwendung und
eines gebotenen Bürokrtieabbaus sowie einer gebotenen
Vereinfachung von Regelungen, wäre es naheliegender gewesen,
den bundeseinheitlich gesetzten Mindestlohn zur Vorgabe zu
machen bzw. die Regelungen des Entsendegesetzes. Dann
allerdings wäre der in Brandenburg im Rahmen öffentlicher
Auftragsvergaben geltende Mindestlohn geringer als jener,
der sich heute aus der Entwurfsfassung ergibt. Im Hinblick
aber auf die Neuregelung des gesetzlichen Mindestlohns ab
2017 mit 8,84 € wird die praktische Bedeutung eines
Brandenburger Entgeltsatzes von 9,00 € als lediglich
bürokratisch wahrgenommen.
Problematisch erscheint auch § 2 Abs. 4 Ziff. 1 des
Entwurfs, wonach das Gesetz und die dort festgelegten
Mindestanforderungen dann nicht gelten sollen, wenn die
Zuwendungen auch aus anderen Mitteln als jenen des Landes
stammen. Denkbar ist z. B. eine Zuwendung aus
Stiftungsmitteln zusammen mit Landesmitteln. Wenn bereits
eine solche Konstruktion zur Außerkraftsetzung der
postulierten Mindestbedingungen führen kann, wäre zu prüfen,
ob nicht Umgehungstatbestände durch eine solche
Öffnungsklausel herausgefordert werden.
II. Nachhaltigkeit
Als Vorstand des Unternehmensverbands UnternehmensGrün,
dem Bundesverband der grünen Wirtschaft, stelle ich mir aber
die Frage, warum hier nicht Aspekte der Nachhaltigkeit
und Ökologie zum Maßstab der Auftragsvergabe gemacht
werden. Kriterien, die einen solchen Bezug erlauben, finden
sich zwar bei weiter Auslegung des Begriffs der
Wirtschaftlichkeit eines Angebots (§ 1 des Entwurfs), aber
dann lediglich nur noch in § 3 Abs. 4 in einer
Kann-Bestimmung, die es zulässt auch umweltbezogene Aspekte
zu berücksichtigen.Im
Hinblick auf die Brandenburgische Landesverfassung (Art. 2
Abs. 1), wonach Brandenburg sich dem Schutz der natürlichen
Umwelt verpflichtet und auch Art. 39 Abs. 4 und Abs. 5,
wonach die staatliche Umweltpolitik auf den sparsamen
Gebrauch und die Wiederverwendung von Rohstoffen sowie auf
die sparsame Nutzung von Energie hinzuwirken hat und bei
öffentlichen und privaten Vorhaben Maßgaben der
Umweltverträglichkeit verlangt werden sollen, wären bei
einem Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge in den
allgemeinen Vorschriften und explizit im besonderen Teil der
Regelungen genaue Ausgestaltungen zu erwarten gewesen zur
Gewährleistung der Nachhaltigkeit.
In diesem Zusammenhang hätte auch
die aktuelle EU-CSR-Richtlinie 2014/95 Erwähnung finden
können, die eine Offenlegung nicht finanzieller
Informationen von Unternehmen verlangt, um dort Transparenz
im Umgang mit ökologischen und sozialen Aspekten
herzustellen bzw. zu erhöhen (gilt für Unternehmen mit mehr
als 500 Beschäftigten). Diese Sozial- und
Umweltberichterstattung, die von größeren Unternehmen in
Umsetzung des EU-Rechts auch nach nationalem Recht verlangt
wird, könnte im Gesetz nicht nur ausdrücklich Erwähnung
finden, sondern könnte im Sinne der Wertschätzung bei der
Auftragsvergabe auch zu einer Priorisierung am Wettbewerb
teilnehmender Unternehmen führen, die diese Vorgaben
erfüllen, obwohl sie z. B. noch nicht einmal 500
Arbeitnehmer beschäftigen.
Es gibt auch immer mehr kleine und
mittlere Unternehmen, die Umweltbilanzen vorlegen, sie
veröffentlichen, sich nach anerkannten Standards
zertifizieren lassen, Anforderungen etwa auch der
CO2-Freiheit ihrer Produktion oder Dienstleistungen belegen
können, Kriterien der Kreislaufwirtschaft und anderen
Nachhaltigkeitsstandards folgen, z. B. konsequentes
Recycling praktizieren oder nach den Grundsätzen der
Gemeinwohlökonomie bilanzieren u. Ä.
Der Gesetzentwurf lässt hier
jeglichen ausformulierten Ansatz vermissen. Die Auswahl von
Unternehmen nach Standards der Nachhaltigkeit hätte
Auswirkungen auf die Ausführung der Aufträge selbst. D. h.
wenn Unternehmen bei der Auftragsvergabe priorisiert werden,
die höhere Standards erfüllen, mitunter aber auch höhere
Kosten haben, hat dies häufig für die Nachhaltigkeit der
Ausführung Bedeutung, da diese Unternehmen in ihrer
Angebotspalette typischerweise Energieeffizienz,
Reparaturfreundlichkeit und andere an der Nachhaltigkeit
orientierte Aspekte priorisieren.
Die Möglichkeit nicht nur soziale
Kriterien vorzugeben, sondern auch ökologische Aspekte bei
der Vergabe in den Vordergrund zu stellen, ist auch
EU-rechtlich seit der Richtlinie 2004/18 EG vom 31.03.2004
anerkannt. Gerade öffentliche Auftraggeber können durch eine
entsprechende Vergabepraxis beitragen, dass Unternehmen, die
selbst höhere Standards in ihre betriebliche Praxis
integriert haben, priorisiert werden können. Ziel einer
guten Ausschreibungs- und Vergabepraxis sollte ein möglichst
langlebiges, reparaturfreundliches und energieeffizientes
Produkt, Gebäude oder Dienstleistung sein. All dies trägt
auch dem Gebot der Wirtschaftlichkeit Rechnung.
Rechtlicher Anknüpfungspunkt bietet
neben europäischem Recht auch das Bundesrecht so in der
Vergabeverordnung (VgV) § 59, mit der Möglichkeit
Lebenszykluskosten in den Mittelpunkt der Kostenbetrachtung
zu stellen (anstatt lediglich die Wirtschaftlichkeit).
III. Bürokratie
Hinsichtlich der Bürokratiekosten
und ihrer wünschenswerten Reduzierung verweise ich zunächst
auf meine Ausführungen oben zu 1. Begrüßenswert ist die
Einschränkung der verschiedenen Schwellenwerte. Andererseits
erscheint im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand es bei
Umsetzung für die einzelnen Unternehmen zweckmäßig, die im
Entwurf festgelegte Untergrenze von 3.000,00 € für Dienst-,
Liefer- und Bauleistungen deutlich zu erhöhen (z. B. auf
5.000,00 €). Es gilt ohnehin der gesetzliche Mindestlohn
bzw. die Bestimmungen des Entsendegesetzes.
IV.
Bezug nehmend auf Ihren Fragenkatalog, erlaube
ich mir folgende Anmerkungen:
Frage 1.
Im Hinblick auf die
Differenz des gesetzlichen Mindestlohns zum Brandenburger
Vergabemindestentgelt von sich abzeichnenden lediglich 0,16
€ ist jeder Bürokratieaufwand zuviel, der im Hinblick auf
eine diesbezügliche Differenzierung getrieben wird. Dies
gilt sowohl für den Aufwand in den Unternehmen, die ja
ohnehin den Mindestlohn anzuwenden haben, und den Behörden,
die bei der Vergabebearbeitung und –kontrolle nunmehr darauf
zu achten haben, ob auch die letzten 0,16 € zum
Vergabemindestentgelt nachgewiesen werden.
Frage 2.
Selbst bei einer Differenz
von 0,50 € sind allzu große Auswirkungen auf die Kosten für
öffentliche Aufträge nicht zu erwarten. Lediglich in
Branchen mit hohem Personalkostenanteil und niedrigen Löhnen
wird dies spürbar sein. Da nur noch wenige Branchen kraft
tariflicher Regelungen den gesetzlichen Mindestlohn
unterschreiten können (vgl. § 24 MiLoG) wird die Bedeutung
für den „Brandenburger Mindestlohn“ ab dem 01.01.2017
geringer und mit dem Ende der Übergangsvorschriften des
Mindestlohngesetzes Ende 2017 nahezu irrelevant, wenn das
Vergabemindestentgelt nicht erkennbar erhöht wird, um sich
vom bundeseinheitlichen Mindestlohn abzuheben. Nach dem
01.01.2017 jedenfalls werden nur Arbeitnehmer jener Branchen
nennenswert profitieren, die nicht unter der Geltung des
Mindestlohns sind
(§ 24 MiLoG).
Frage 3.
Die Anwendungsuntergrenze
ist im Prinzip positiv zu beurteilen. Sie sollte aber eher
höher, also statt 3.000,00 € eher mit 5.000,00 € angesetzt
werden, um den bürokratischen Aufwand auch für die
vergebenden Behörden zu reduzieren.
Frage 4.
Die Notwendigkeit zur
Einführung eines Nachprüfungsverfahrens unterhalb der
EU-Schwellenwerte ergibt sich aus der Logik des VergabeG.
Wenn Vorgaben und Standards mit der Ausschreibung verlangt
und gesetzt werden, müssen diese unter wettbewerblichen
Gesichtspunkten auch überprüft werden, damit Unternehmen,
welche die Bedingungen nicht beachten, keinen
Wettbewerbsvorteil gegenüber jenen genießen, die sich an die
Vorgaben halten.
Frage 5.
Bei einem Differenzbetrag
von 0,16 € zum gesetzlichen Mindestlohn sollte zumindest ab
dem 01.01.2017 auf eine Kontrolle verzichtet werden. Wird
aber das Vergabemindestentgelt weiter erhöht und ist damit
ein größerer Differenzbetrag zwischen bundeseinheitlichem
Mindestentgelt und dem Brandenburger Vergabemindestentgelt
feststellbar, sind stichprobenartige Kontrollen sicher
notwendig.
Da der Zoll mit dem
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und mit der Überwachung der
Anforderung des Mindestlohngesetzes Erfahrungen und
Befugnisse hat, insbesondere auch Strukturen vorhanden sind,
sich von anderen Behörden Auskünfte zu verschaffen, wäre es
völlig verkehrt, hier Parallelstrukturen aufzubauen, wenn
die Möglichkeit besteht, dem Zoll diese Kontrollaufgaben zu
übertragen (vgl. § 15 u. § 16 MiLoG).
Frage 6.
Im personalintensiven
Branchen, die lediglich den gesetzlichen Mindestlohn zahlen
und dann bei öffentlichen Aufträgen wenige Cent mehr an Lohn
zahlen müssen, erhöht dies selbstverständlich die
innerbetrieblichen, bürokratischen Abläufe. Je kleinteiliger
die Aufträge sind, desto höher ist der Steuerungsaufwand für
jedes Unternehmen. Bei der sich für 2017 abzeichnenden,
geringen Differenz zwischen dem gesetzlichen Mindestlohn und
dem Brandenburger Mindestentgelt von wenigen Cent, ist
dieser Aufwand auch unter sozialpolitischen Aspekten nicht
gerechtfertigt.
Frage 7.
Wenn man einen
Mindestentgelt in Brandenburg für Vergaben einführt, könnte
man natürlich auch über eine regionale Differenzierung
nachdenken, also den Betrag für die auftragsvergebenden
Behörden und Kommunen im Speckgürtel höher ansetzen, als in
Randregionen wie z. B. der Prignitz. Dies würde Kommunen in
wirtschaftlich schwächeren Gebieten entlasten und zugleich
die regionale Wirtschaft stärken.
Mit freundlichen Grüßen
Stähle
Rechtsanwalt
Vorstand UnternehmensGrün